Das Kaffeehaus im Grätzl

Denjenigen, die mich als Kaffesüchtigen kennen, wundern sich möglicherweise, warum ich noch nicht über die Kaffeehäuser Wiens geschrieben habe. Nun, bisher hatte ich wenig Lust über die bekannten Adressen zu lamentieren, die auch in allen Stadtführern erwähnt und die in so genannten authentischen Fernsehreportagen als besondere Empfehlung gezeigt werden, wie z.B. das Café Central, die Landtmannschen Cafés oder die Hofzuckerbäckerei Demel. Dort findet man meist längere Schlangen an Touristen und Schaulustigen vor, die sich nach ausgiebiger Wartezeit viel zu kleine Tortenstückchen zu überteuerten Preisen einverleiben. Bei den klassischen Kaffeehäusern stellen hier vielleicht noch das Hawelka und das Cafè Sperl eine Ausnahme dar, aber was ist hier noch wirklich noch authentisch und was schon nur noch Reminiszenz? Auf der Suche nach denjenigen Kaffeehäusern, die noch als zweites Wohnzimmer der Bürger des umliegendes Grätzls gelten können, muss man sich aus der Innenstadt wegbewegen, sogar die heute alternativen Viertel zwischen Ringstraße und Gürtel hinter sich lassen. Dann kann man noch Entdeckungen machen.

Café Weidinger

Das Cafe Weidinger liegt gleich auf der anderen Seite des Gürtels. Es öffnet, wie es sich gehört, fast ganztägig, von 8.00 – 24:00 Uhr steht es seinen Gästen offen. Tritt man durch die Eingangstür, verstummt sogleich der Straßenlärm, der auf den vielspurigen Straßen des Gürtels tobt.

Eine halbdunkle Atmosphäre empfängt einen, nur wenige Gäste sind auf den vielen Stühle und Sesseln verteilt. Klare Formen, wenig Schnickschnack. Anwohner erzählen mir, dass sich das Cafe seit 70 Jahren nicht verändert habe, das Ambiente und Design sind also 50er Jahre pur. Ein kleiner Ober empfängt mich und fragt mit leicht ungarischen Akzent zurückhaltend nach meinen Wünschen. Noch ist Vormittag, ein Wiener Frühstück, dazu – das muss jetzt sein – zwei Eier im Glas. Letztere sind in Wien aber nicht die, die man mit der typischen Jenaer Eierkochform verbindet, sondern einfach geschälte, weichgekochte Eier in einer Glasschale.

Zu Unterhaltung liegen die Tageszeitungen aus, im hinteren Bereich stehen Billardtische bereit. Es ist ruhig im Cafe, keine Musik, nur das Rascheln der Zeitungen ist zu hören, Wortsilben eines Gespräches fünf Tische weiter und das einsame Klappern einer Laptoptastatur. Hier kann Zeit verstreichen, die Sekunden und Minuten verticken ungehört vor sich hin. Das Zeitungslesen vertieft sich zu einem meditativen Vorgang, den auch das Servieren des Frühstücks kaum unterbricht. Der Tag könnte auch im Sitzenbleiben vergossen werden, ab und zu würde der Kellner geräuschlos die Kaffeetassen ersetzen, ab und zu öffnet und schließt sich die Tür. Ausatmen, einatmen.

Keine Internetadresse

Café Weingartner

Wer einen garantiert grantigen Ober eines Kaffeehauses erleben will, dem sei das Café Weingartner ans Herz gelegt. Das Café liegt in der Goldschlagstraße in Viertel Fünftorhaus, stolz wirbt es damit, dass es seit 1874 existiert. Das Etablissement habe ich schon vor zwei Jahren besucht. Als ich es damals betreten wollte, musterten mich ein kräftiger Kellner finster und ein schmächtiger Junge ängstlich.

Im Café roch es, naja, etwas streng. Der Junge war dann mit der Tatsache überfordert, dass ich neben einem Kaffee auch noch die Menükarte erbat. Daraufhin erschien der Stiernackige, fixierte mich und fragte unwirsch, ob ich tatsächlich speisen wolle. Als ich darauf bestand, verabschiedete er sich mit den Worten, da müsste er erst einmal bei seiner Mutter in der Küche nachfragen, was denn überhaupt noch da wäre. Einige Minuten später wurde mir ein Teller gebracht – Kochfleisch mit Gemüse und Kren in eine Brühe, was aber überraschend gut schmeckte.
Zwei Jahre später versuche ich erneut einen Besuch. Der Stiernackige ist immer noch anwesend. Der Geruch ist verflogen.

Die Unmengen an Zeitungen, die ich schon vor zwei Jahren bewunderte, liegen immer noch aus. Es ist auch die Wahllosigkeit der Auslage, die beeindruckt. Neben sämtlichen Ausgaben der österreichischen Tages- und Wochenpresse liegen die Jüdischen Wochenzeitung, die Rote Fahne und die deutsche Nationalzeitung unmittelbar nebeneinander. Da ich diesmal nur einen Kaffee verlange, gibt es zunächst keine Situation der Überforderung.

Aber das Café Weingartner kultiviert noch eine weitere Tradition der Wiener Kaffeehäuser, das Billardspiel. Im Cafè selbst stehen einige Tische, gegenüber betreibt Weingartner eine Billardschule und eine Ecke weiter ein Fachgeschäft und Werkstatt für Billardtische, aber auch für Schach und andere Spiele in den Kaffeehäusern der Stadt. Inkludiert ist dort ein Billardmuseum, dass europaweit einmalig sein soll.

Ich frage Herrn Weingartner, der ist wohl der stämmige Ober, ob dies stimme, ich bekomme nur ein kurzes Ja. Auf die Frage, ob man das Museum sich anschauen könne, erfolgt ein kurzes Nein. Auf die Bemerkung, das sei schade, werde ich angeblafft, man habe eben kein Personal. Naja, dann nicht. Die Anwohner scheinen jedoch die Lokalität zu lieben, werden auch freundlicher begrüßt. Vielleicht sind nur Fremde ungern gesehen. Ein Hereinkommender fragt mich nach den kurz abwesenden Besitzer des Cafés. Als ich rückfrage, ob er damit den grantelnden Herrn meint, grinst er nur.

Servicelinks:

Café: www.weingartner.co.at
Laden, Schule und Museum: www.billard-weingartner.at

Cafe Rüdigerhof

Auch das Cafe Rüdigerhof ist noch ein Grätzlcafé. Hinterm Naschmarkt gelegen, dient es insbesondere Leuten aus Mariahilf zum sich Treffen. Ein schöner Jugenstilbau, mit geschichtlichen Charme. In der Nähe des alten Sitzes der Sozialdemokratie im Kaiserreich gelegen, war das Kaffee natürlicher Treffpunkt von Arbeiterführern, aus Österreich aber auch dem übrigen Europa, selbst Lenin und Trotzki speisten hier. Doch auch die Zionisten um Herzl trafen sich im Rüdigerhof. Doch von innen habe ich es nicht besucht, allerdings abends seinen Scharnigarten, wie der Biergarten hier heißt.

Und der ist eindrucksvoll, hohe Bäume, viel Schatten spende Bäume und viele Tische. Und sehr voll, ohne Reservierung besteht zumindest am Wochenende kaum eine Chance, einen Platz zu bekommen. Geboten wird klassische Wiener Küche zu noch vernünftigen Preisen, freundliches Gemurmel von allen Seiten, Tarockrunden und ausreichend Platz, um nach langen Wanderungen durch die Stadt seine Füße auszustrecken. Es gibt keine grantigen Kellner, sondern junge Leute, die sich sogar entschuldigen, wenn sich das Essen verspätet. Kein Schnickschack, einfach gut und zum Verweilen gedacht, ein Muss, wenn man einen Scharnigarten in Wien kennenlernen will.

Servicelink

ruedigerhof.stadtausstellung.at

Gern hätte ich auch das traditionsreiche Café Ritter in Ottakring besucht. Es ist Kultstätte für österreichische Fußballanhänger, da es das Stammcafè der Nationallegende Ernst Happel war. Doch ich musste in der Zeitung lesen, das dieses Café endgültig insolvent gegangen ist und geschlossen hat. Doch zum Glück hat das Wiener Institut für transakustische Forschung auch ein Projekt im Bereich Kaffeenistik gestartet und gewissermaßen die Essenz des Wiener Kaffeetrinken herausgefunden und verewigt. Ein Teil der veröffentlichten Forschung ist in einem virtuellen Besuch des Cafè Ritters festgehalten. Bitte treten Sie hier ein:

www.iftaf.org/alacarte/index.html

Die Gesamtprojektseite für Kaffeenistik:

www.iftaf.org/kaffeenistik.php

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