Der Schokolade kann man in Wien nicht ausweichen. Den Touristen wird sie allerorten in Form von Mozartkugeln, Sisi-Pralinen und Kaiser-Franz-Schokoladentafeln förmlich hintergeworfen (natürlich nur für entsprechende hohe Eurogebühren als Gegengabe), das Café Demel und die Konditorei Oberlaa stellen ihre Produkte reihenweise in die Filialen und in das Internet, und es existiert ein Schokoladenmuseum vom Platzhirsch der Schokoladenproduzenten Wiens – Heindl – höchst selbst.
Doch noch findet man auch die anderen Geschäfte, jene kleine Läden, die einen an die Kindheitsträume erinnern, in denen von den Decken die Zuckerstangen hängen, in dem hölzernen Regalen sich die Schokoladentafeln stapeln, Bonbonieren von Pfefferminzpastillen, Lakritzschlangen und Drops überquellen und auf dem Ladentisch hinter Glas die Pralinen zu dem Betrachter hauchen: nimm mich… Die Läden, die Kinderparadiese sein können – und zur Entscheidungshölle werden, wenn die kleinen Hände die wenigen Euro Taschengeld kneten, während der Blick von einer Köstlichkeit zur anderen wandert.
Eines dieser Geschäfte ist die „Confiserie Engelecke“, taktisch günstig gelegen gegenüber dem Universitätscampus an der Kreuzung Alser Straße / Lange Gasse. Ich möchte nicht wissen, wieviel von den schmalen Studentensalären schon in die Kasse des Geschäftes gewandert ist. Mich veranlasst im Juni 2023 die Ankündigung, dass hier auch Eis ausgegeben wird, das Geschäft zu betreten. Doch schon der erste Blick, der durch den Raum schweift, sagt mir, hierher komme ich zurück. Kaum das ich um die Ecke gegangen bin und in Ruhe am Eis in Geschmacksrichtung weiße Schokolade und Nougat schlecke, saugen sich meine Augen an den Auslagen des Schaufensters fest. Fast automatisch laufen meine Füße nach Beendigung des Eisgenusses wieder in den Laden zurück. Meine Augen wandern über die Regale mit Schachteln voller Konfekt, Trüffel und Marzipanstangerl, Tafeln von gefüllter und ungefüllter Schokolade oder Tütchen mit Geleewürfelchen. Wie von selbst wächst unter meinen Händen der Stapel der Köstlichkeiten. Die Verkäuferin bekommt mit, dass ich kein Wiener bin, die Süßigkeiten Geschenke für zu Hause werden. Nach dem Bezahlen fragt sie mich, welche Schokoladen ich denn selbst gern mag. Ich verrate es ihr, und flugs wandern ein paar Pralinen aus der Auslage in eine kleine Tüte, die mir lächelnd als Geschenk über die Theke gereicht werden. Kein Wunder, dass mich mein nächster Wienbesuch wieder hierher führte…
Das Schild über der Ladentür verkündet stolz, dass seit 1932 hier süße Köstlichkeiten angeboten werden. Heute stammen sie überwiegend von der Marke Eibensteiner. Die Manufaktur befindet sich im 17. Bezirk, sie verkauft zusätzlich auch u.a. in der Währinger Str. 135. Versprochen wird tägliche Frische, die Verkäuferin kontrollierte auch akribisch vor dem Eintüten das Mindeshaltbarkeitsdatum der einzelnen Verpackungen (wobei die eigene Erfahrung besagt, dass auch, wenn etwas überzogen wird, der Geschmack bleibt).
Ich habe – neben den edlen Pralinés –zwei Favoriten. Zum einen die feinen Marzipanstangerln, die auch in vielen fruchtigen Geschmacksrichtungen gibt (mein Tipp Marzipan-Zwetschge), die durchaus die als „Edelmarzipan“ bezeichneten Produkte aus Lübeck in den Schatten stellen. Zum anderen die gefüllten Schokoladen. Bei Letzteren gibt es 37 Sorten, von Marzipan-Zitronengelee bis Mohntrüffelcreme. Doch auch Wiener Klassiker wie Früchte in Schokolade (hier Rohkost genannt) und Schokoladenmaroni sind zu finden. Und das Eis im Sommer – wenige Sorten, doch diese sind sehr fein…
Ebenso zufällig habe ich das nächste Geschäft gefunden: Das „Bonbons“ in der belebten Neubaugasse (Nr. 18). Auch dieses Geschäft hebt sich durch seinen Look, der von außen eher an die 50er und 60er Jahre erinnert, von der modernistischen Ladengestaltung der Nachbarschaft ab. Laufkundschaft wird sich durch die Nähe zur Mariahilfer Straße und dem Szenebezirk Neubau genug ergeben, würde ich in der Nähe wohnen, wäre ich wohl Stammkunde.
Der zweite Blick auf das Geschäft ergibt zwei sorgfältig gestaltete Schaufenster, die sich saisonal stark ändern, aber immer wieder eine Augenweide sind (und ihren Zweck, zu einem Ladenbesuch zu verführen, vortrefflich erfüllen).
Der dritte Blick ist schon im Geschäft selbst und gleitet über Schokoladen, Nougat, Pfefferminz-Schokopastillen und Bonbons jeglicher Couleur und Geschmacksvorstellung, bis er an der Dose Schokoladenkaviar hängenbleibt. Dies ist alles in einer eher vorsichtig modernisierten Einrichtung untergebracht. Doch das Geschäft ist alt, 1936 wurde es durch eine Frau Breithuber gegründet und noch bis 2002 von ihrer Tochter geführt. Zum Glück ist mit ihrer Pensionierung nicht der Laden verschwunden, die Nachfahren einer Schokoladenmanufaktur, Jonny Schokolade, übernahmen. Für jene Schokoladenmanufaktur ist Bonbons nunmehr der Hauptladen, auch wenn man Jonny Schokoladen auch in anderen Geschäften Wiens findet.
Jonny Schokoladen existieren wiederum seit 1950, angefangen mit der Produktion in der eigenen Wohnung und Bauchladenverkauf, heute in der Tivoligasse in Untermeidling ansässig. Von Anfang an wurde eine Spezialität fabriziert, die ich den geneigten Lesern und Leserinnen nur an das Herz legen kann – Rumpastillen. Die flüssige Rumfüllung befindet sich hierbei in einer sehr dünnen Zuckerkruste, die wiederum von einem ebenso zarten Bitterschokoladenüberzug umhüllt wird. Dies dann mit einem sanften Druck im Mund zerrinnen zu lassen… Natürlich – dies wird einem im Geschäft auch an das Herz gelegt – muss man dann beim Transport aufpassen, aber die Pastillen haben die Reise mit der Bahn nach Jena dank stabiler Verpackung gut überlebt.
Eine andere Spezialität von Jonny-Schokoladen sind die schokolierten Früchte, wobei ich besonderes das Orangette hervorheben würde. Ich habe mir selbiges als Schokoladentafel „Orangerie“ der Wiener Schokoladenreihe gekauft. Doch der Kunde wird ebenso in einer Vielzahl zugekaufter Waren fündig werde. Ein kleiner Tipp, in den frühen Morgenstunden ist das Geschäft noch leer.
Gegenüber der Volksoper, an der Ecke Währinger Straße / Schlagergassebefindet sich der dritte Laden, den ich den Naschwerkversessenen an Herz legen möchte. Die Confiserie „Zum süßen Eck“ kommt dem oben erwähnten Kindheitstraum wohl am weitesten entgegen. Betritt man durch die Tür das Geschäft, eröffnet sich der Blick, den das Foto über den Beitrag zeigt. Regale mit den Köstlichkeiten aller Art füllen den Raum – über 5000 Süßigkeiten werden angeboten. Man könnte die bunten Verpackungen, Dosen, Beutel mit Zuckerstangen, Pralinen in der Vitrine und Bilder der Schokoladentafeln stundenlang betrachten und in seiner Entscheidung, das Richtige zu wählen, immer unsicherer werden. Speziell erwähnt sei, dass allein 140 Lakritzvariationen auf den Gaumen warten. Dabei steht im Gegensatz zu den vorher genannten Läden hier keine eigene Manufaktur dahinter, es wird von einer Vielzahl von Lieferanten bezogen, oft regional aber auch für Qualität und Besonderheiten auch international. Und manchmal werden ehemals bekannte Marken wieder aufgelegt – „Kirstein-Blockmalz“ sei genannt. Das Originalrezept stammt von 1877, ein Nachfahre der Wiener Familie Kirstein gründete mit 77 Jahren ein Startup, um diese Bonbons wieder aufleben zu lassen.
Als ich im Laden bin, kommt ein kleiner Junge herein. Er druckst ein wenig herum, dann greift er zu, vergisst fast das Zahlen und geht strahlend hinaus – Kaugummizigaretten war sein Begehr. Kaugummizigaretten! Ich bin in die 70er Jahre versetzt. Die Westpakete zu Weihnachten und darin – leider selten – Packungen von Kaugummizigaretten. Jene Dinger, die man als 10-,11-jähriger so lässig aus dem Mundwinkel hängen lassen konnte, um sich älter zu fühlen und um (allerdings nur vermeintlich) die Erwachsenen zu erschrecken. Kaugummizigaretten – und das in dieser durchinformierten, nichtrauchenden, hypersensibilisierten Gesundheitswelt. Kaugummizigaretten!
Der Besitzer erzählt mir, der Junge würde fast täglich kommen. Doch wie lange kann er dies noch? Die Confiserie existiert seit 110 Jahren, derzeit führt das Ehepaar Kornherr das Geschäft. Doch leider hören sie zum 30.06.2024 auf. Ein Nachfolger, eine Nachfolgerin wird gesucht – und die Bedingungen sind eigentlich ideal, gute Lage, schöne Ausstattung, Kundenstamm, alles wäre da. Vielleicht liest ja auch ein Wiener diesen Beitrag….
Ich fahre mit der 5 durch die Josefstadt zurück. Die Straßenbahn ist überfüllt, eine alte Dame steigt ein. Ich stehe auf und biete den Platz an, ein wenig Zieren, dann setzt sie sich. Wenige Minuten später stupst sie mich an, ob ich Schokolade möge. Nach den obigen Zeilen ist es klar, dass ich da nur zustimmen kann. Sie kramt in ihrer Tasche und zieht ein Schächtelchen heraus, das sie mir in die Hand drückt. Ihre Augen strahlen dabei, ich kann es nicht verweigern. Später stellt es sich als ein kleines Schokotörtchen der Konditorei Oberlaa heraus. Wir steigen beide mit einem Lächeln aus der Bahn.
Servicelinks (alle Geschäfte haben auch Onlineshops):
Confiserie Engelecke
https://engelecke.at/
https://eibensteiner.wien/
BonBons
http://bonbons-neubaugasse.at/
http://www.jonny-schokoladen.at/
Confiserie „Zum süßen Eck“
https://www.suesseseck.at/