Schwierige Erinnerung – Künstlerischen Interventionen im Wiener Stadtbild III

Im Osten Wiens am Rand des Marchfeldes ist inmitten von Wiesen und Felder ein UFO gelandet. Diesen Eindruck gewinnt man, schaut man von weiter weg auf die aus dem Nichts wachsenden Wohntürme. Eine U-Bahn auf Stelzen, die U2, führt ca. 10 km hierher. An der Endstation entsteht seit 2014, aufbauend auf 2007 beschlossenen Plänen, eine neue Stadt, eines der größten Neustadtprojekte Europas. Sie soll beispielgebend für die Städteplanung des 21. Jahrhunderts sein – sozial (nach Wiener Prinzip sind 2/3 der Wohnungen kommunal bzw. gemeinwirtschaftlich und damit preiswert), ökologisch (so ist die Beheizung ausschließlich über Fernwärme angelegt und der ÖPNV integral), nachhaltig (so mit dem 84m hohen einzigartigen Holzhochhaus), lebenswert (kurze Wege zu Nahversorgern, Kultur, Bildungseinrichtungen und dem See).

Die Seestadt liegt auf historisch kontaminierten Gebiet. Am ersten Tag des Anschlusses an Hitlerdeutschland landete auf dem hier 1912 errichteten Flughafen gemeinsam mit Vorauskommandos der Wehrmacht Heinrich Himmler. Anschließend wurde der Flughafen zu einem wichtigen Drehkreuz im zweiten Weltkrieg, Zwangsarbeiter errichten drei neue Landebahnen, u.a. die Bombardierung und Zerstörung Belgrads 1941 durch die deutsche Luftwaffe erfolgte von hier aus. Der Flughafen wurde bis zum Ende verteidigt. Danach sowjetischer Stützpunkt, seit Mitte der 50er Jahre Sportflughafen, in den 70er geschlossen. Wenige hundert Meter davon entstand Ende der 80er Jahre eine der ersten breit angelegten Erinnerungsstätten Österreichs an das NS-Regime. 65.000 Bäume wurden dort gepflanzt, für jeden ermordeten jüdischen Bürger Wiens einer. Angeregt vom Bund sozialdemokratischer Juden, Avoda, erfolgte dies größtenteils über Schulprojekte. Doch dieser Gedenkwald ist zugleich ein Beispiel nicht funktionierender Erinnerung. Schon der Ort hat keine eigene Verbindung zur Deportation und Vernichtung der Wiener Juden (der Aspang-Bahnhof, von dem die Züge starteten, liegt an einer ganz anderen Stelle in Wien), sondern wurde nach dem stadtklimatischen Nutzen der Pflanzung ausgewählt. Auch aus diesem fehlenden historischen Anknüpfungsgrund heraus fanden nach der Eröffnungsveranstaltung 1988 keine weiteren Ereignisse statt, zudem weit abgelegen von Wien sah er auch kaum zufällige Besucher. Zusätzlich wurde die Pflege unzureichend organisiert, letztlich verwilderte der Wald. Erst mit dem Bau der Seestadt 25 Jahre später rückte er wieder ins Bewusstsein, würde er doch das natürliche Ausflugsgebiet der neuen Bewohner werden.

Einerseits das durchaus bedenkenswerte historische Erbe des Platzes der Seestadt Aspern, anderseits die vernachlässigte, ja man kann sagen weitgehend gescheiterte Gedenkinitiative – zwei Maßnahmen sollten diese Situation verklaren und letzteres heilen. Seit einige Jahren laufen nunmehr Pflegearbeiten im Gedenkwald – „Durchforstung“ ist das Fachwort dafür – Unterholz wird beseitigt, bestehende Gedenksteine instantgesetzt, neue Informationstafeln gestaltet. Als zweite Maßnahme soll ein Steg der Erinnerung, der auf dem kürzesten Weg von der Seestadt in den Wald liegt, beide Orte auch inhaltlich verbinden. Es ist ein unregelmäßiger Bohlensteg, in dem in kurzen Abständen statt Holzbalken Eisenplatten mit Texten liegen, die jeweils in einer Gehrichtung gelesen werden können. In Richtung Wald hin werden die Geschichte des Erinnerungsortes und der antisemitischen Gewalt in Wien zwischen 1938 und 1945 erzählt, in Richtung Aspern die Geschichte des Flugplatzes. Zusammengelesen entstehen zwei Texte.

In Richtung Wald:

„Wohin des Weges?

Schauen wir nicht alle zurück?

Am 9. April 1987 begannen 400 Wiener Schülerinnen und Schüler hier einen Wald zu pflanzen.

In der steppenartigen Asperner Landschaft. Er soll dem Wiener Klima gut tun.

65.000 Bäume im Gedenken an Wiener Juden und Jüdinnen, die von Nationalsozialisten ermordet wurden. Die meisten starben in Vernichtungslagern, in Maly Trostinec, Auschwitz, Sobibor.

Und mit jedem Baum ein Quäntchen Hoffnung in die Herzen der Menschen senken.

Österreichische SS-Männer planten die Deportationen. Im Stadtzentrum, im Palais Rothschild. Die Züge fuhren vom Bahnhof Aspang im 3. Bezirk ab.

1988 setzte hier die Stadtverwaltung den Gedenkstein als erstes Denkmal an die ermordeten Juden im öffentlichen Raum.

Inmitten des jungen Gedenkwaldes, auf den überschütteten Bahnen des Flughafens Aspern.

Wo sich Eschen, Buchen, Eichen, Pappeln sanft im Wind wiegen.

Spazieren! Erholen.

Hoffen auf ein Gedeihen des Verständnisses für den anderen.“

In Richtung Stadt:

„Wo die Seestadt liegt…

war der Flugplatz Aspern.

Eröffnet 1912 mit der I. Internationalen Flugwoche. Zehntausende bewunderten Flugkünstler aus acht Ländern.

Weil die Luft erobert ist, wird die Erde bombardiert

und trotzdem bleib ich dem Traume gewogen. (Karl Kraus)

1918 Erster Postflugdienst zwischen Wien und Kiew. 1922 Passagierluftfahrt nach Prag, Budapest, Paris und Istanbul.

Am 12. März 1938, dem Tag nach der Machtübernahme durch die NSDAP, landeten hier deutsche SS-Führer und Verbände der deutschen Luftwaffe.

Das NS-Regime baute drei neue Rollbahnen. 1941 starteten Piloten zur Bombardierung Belgrads. Die Stadt wurde größtenteils zerstört.

Zwischen 1955 und 1978 dienten die Flugbahnen dem privaten Flugsport.

Dann wurden sie überschüttet, schließlich abgerissen. Der Beton kam im Straßenbau zur Verwendung.

Ein kleiner Teil ist am Ende des Steges noch sichtbar.“

Wird dies wahrgenommen? Der Weg von der U-Bahnstation zu dem Steg führt an einer staubigen Straße entlang. Einmal weist ein Schild darauf hin, trotzdem laufe ich das erste Mal vorbei und muss mein Handy zur Orientierung bemühen. Ich begegne nur wenigen Menschen, ein paar vereinzelte Jogger ziehen ihre Spuren. Vielleicht liegt es daran, dass ringsum eine Gewitterstimmung aufzieht. Ich betrete die Bohlen, verstehe am Anfang die Botschaft nur wenig, erst später im Gehen entsteht der Zusammenhang, Einige Bäume wachsen durch den Steg, unvermutet endet er an der Wiese mit dem ersten Gedenkstein. Fragen kann ich die wenigen Vorbeihastenden nicht, ob sie die Bedeutung des Weges kennen. Ich schwanke, setzt jetzt ein Erahnen der Erinnerung ein, oder eher die Anmutung eines Naturschutzprojektes? Erst beim Zurückgehen setzt das Nachdenkliche ein.

Wann “funktioniert“ eine Gedenkinstallation? Ich bin bewusst hierhergekommen, habe Vorwissen, Erwartung mitgebracht, nahm mir trotz des nahenden Gewitters Zeit, zu verweilen. Aber wie ergeht es den flüchtigen Passanten?

Dies ist die aktuelle Situation, doch was ist über die vergangenen 25 Jahre zu sagen? Mir fiel dazu das Wort Verwahrlosung ein. „Verwahrlostes“ Gedenken –  so wie hier zeitgleich ein Wald verwildert, Unterholz sich ausbreitet, das Eigentliche überdeckt wird, verliert sich auch das Gedenken auf der ideellen Ebene, wird irgendetwas, was vielleicht im Hinterkopf noch herumgeistert, aber keine Handlungen, Rituale, Fragen, Begegnung mehr auslöst. Hier spiegelt es sich einander – der vergessene, ungepflegte Wald, der irgendwie trotzdem noch da ist, die Erinnerung daran, die irgendwo herumliegt, aber nichts mehr bewirkt. Mir wird dies an einem anderen Beispiel in Wien wiederbegegnen, von dem in einem der kommenden Beiträge erzählt werden soll.

 

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