Asche zu Asche…

Nein, ich bin nicht auf dem Zentralfriedhof, dessen Besuch wird in ein paar Tagen sein. Ich befinde mich am Rautenweg, rund 10 km vom Wiener Zentrum entfernt, fast schon an der Stadtgrenze zu Niederösterreich. Nicht die Überreste der Wiener nach ihrem Tod liegen hier, sondern die Überreste ihres täglichen Lebens. Es ist die einzige aktive Mülldeponie Wiens, hier ist das Endlager ihres Mülls.

Ich muss dabei gleich meine Überschrift korrigieren. Hier liegt nicht Asche, sondern die Schlacke der Wiener Müllverbrennungsanlagen, genauer gesagt, die Fachleute sprechen von Schlackenbeton. Auch die Wiener trennen ihren Müll, besser gesagt, ihren Mist, wie hier der Ausdruck dafür ist, in die einzelnen Fraktionen – Kunstoff, Glas, Papier etc. wird wiederverwertet (bzw. es soll so sein), Biomüll wird kompostiert oder in der Biogasanlage Wiens in Simmering in Energie verwandelt, der gesamte Restmüll wandert in eine der drei Müllverbrennungsanlagen. Bekannt ist wohl die Anlage in Spittelsau, die Hundertwasser mit seiner Architektur veredelte, ich selbst bin schon an der neuesten, 15 Jahre alten Anlage in Simmering vorbei gefahren. Die dort entstehende Schlacke gelangt nicht sofort auf die Deponie, sie wird aufbereitet, ihr werden noch Metalle entzogen und anschließen wird sie mit Sand und Zement vermischt, eine Art Beton entsteht. Der Filterkuchen der Schornsteine wandert als Sondermüll in ehemalige Bergwerke.

Eine knappe Stunde brauche ich von meiner Unterkunft – Straßenbahn, U-Bahn, Bus, dann noch eine halbe Stunde Fußweg. Einige Siedlungen streife ich, dahinter beginnen sich die Felder des Marchfeldes auszudehnen. Der heiße Sommer macht einen Tag Pause, hohe Wolken schicken manchmal einen leichten Nieselregen herab. Plattes Land, aber bald nähere ich mich einem kleinen künstlichen Berg. Als ich die Anlage betrete, bin ich überrascht. Wien inszeniert seine Müllkippe wie ein Erlebnispark. Ja, ich laufe an Müllwagen und Baufahrzeugen vorbei, doch dann sehe ich Wegweiser zu „Begegnungshäusern“, „Museum“, „Unterkünften“, „Rundwegen“, „Ziegenställen“, zusammen mit dem Wind fühle ich mich in eine Dünenlandschaft versetzt. Vor dem Verwaltungsgebäude wartet eine Art kleine Bäderbahn, nach und nach trudeln die anderen Gäste der Besichtigungstour ein. „48er“ – das ist die stolze Eigenbezeichnung der Mitarbeiter der 48. Abteilung der Wiener Stadtverwaltung, die zuständig für Müllbeseitigung und Straßenreinigung ist. „48er“ prangt auch auf allen Schildern der Müllbetriebe Wiens, auf jedem Abfallkorb, jedem Hinweisschild, jedem Arbeitstrikot eines ihrer 3000 Mitarbeiter. Auch auf dem Leibchen, das sich über Brust und Bauch unseres Führers spannt, ist es breit aufgedruckt.

Am Anfang, wie üblich die Historie. Die Deponie gibt es seit Beginn der 60er Jahre des letztem Jahrhunderts, zunächst als Hausmülldeponie in einer ehemaligen Schottergrube angelegt. Erst ab Ende der 80er Jahre werden hier ausschließlich die Verbrennungsrückstände gelagert. Damals ist die Idee mit dem Schlackenbeton entstanden, der zwei Vorteile hat: zum eine umschließt er ggf. noch Restbestände von kritischen Stoffen wie z.B. Schwermetallen sicher und unverrottbar, zum anderen kann er wie Baumaterial verwendet werden. Halbzäh angeliefert, härtet er über 14 Tage aus. In dieser Zeit kann er aufgestapelt werden. Unser Führer spricht deswegen fast zärtlich von einem Gebäude, dass hier errichtet wird, ein Ausbildungsberuf auf der Deponie ist auch der Bauarbeiter. Die Flanken der Deponie sind stufenförmig und steil. Sie wächst nicht in die Breite sondern auf einer Fläche von 53 Hektar allein in die Höhe. 33m ist sie mittlerweile hoch, 75m sollen es werden. 60 Jahre soll dies noch dauern, solange können alle Reste des Mülls der Wiener Haushalte weiterhin hier endgelagert werden. „Das ist lange nach meiner Zeit“, sagt unser Begleiter. Nur Bauabfälle werden auf einer gesonderten, durch die Bauwirtschaft selbst betriebenen Deponie entsorgt.

Zur Historie passt das „Hobby“ der Leiters der 48er, er sammelt auf seinem Gelände, Reste der Stadtausstattung – alte Straßenbahnen, einen ganzen Laternenzug einer Straße, eine Gondel des Riesenrads am Prater, ein altes Pissoir und ein bis 2013 betriebenes, innen und außen original restauriertes Toilettenhäuschens der Jugendstilzeit. Auf dessen Schild lese ich, dass früher die Wiener sowohl erste Klasse (mit eigenem Waschbecken in der Kabine) wie zweite Klasse (mit Gemeinschaftswaschbecken) kacken konnten, das Pissoir war wenigstens kostenlos.

Wir setzen uns in die „Bäderbahn“ und zuckeln los. Der Regen hat sich gelegt, der Wind wehrt sich noch kräftig. Irgendwann fahren wir nur noch an Grassterassen entlang. Zwei Meter Erde ist auf die Schlacke aufgeschüttet, darüber läuft die Renaturierung. Über unseren Köpfen rütteln Greifvögel. Wir halten an einem Maschinenstand, weiter geht es mit den technischen Erklärungen. Die Deponie erzeugt Energie, ein wenig über Solarzellen, hauptsächlich über die Gase, die immer noch im Hausmüll der 60er bis 80er Jahre entstehen, welcher unter den Schlacken liegt. 150 Gasbrunnen greifen sie ab und leiten das Gas in große Gasmotoren, die es in elektrischen Strom und Fernwärme umwandeln, letztere direkt für das zentrale große Tierheim Wiens gleich in der Nachbarschaft. Mancher wird nach dem Grundwasser fragen. Hier präsentiert uns unser Führer stolz das sogenannte Wiener Zweikammersystem. Ring um die Deponie ragen zwei Mauerringe bis zu 50 Meter tief in den Untergrund. Das Wasser unter der Müllkippe ist abgesenkt unter das Niveau der Umgebung, das Niveau einer Zwischenkammer liegt dazwischen. Aller drei Stände werden ständig überwacht, durch die hydraulische Kaskade kann kein Grundwasser aus dem Gelände in die Umgebung fließen, die i.Ü. mittlerweile unter Naturschutz steht.

Unsere Fahrt endet an der Stelle, wo Ende der 80er Jahre die ersten Schlacken abgelagert wurden. Uns umfängt ein Natur- und Freizeitparadies gleichenden Areal. Werden seit einiger Zeit auf den Renaturierungszonen eine spezielle Grasmischung ausgesät, hat man es damals der Natur überlassen, wie sich was wo ausbreitet.

Ein Blumenmeer umgibt uns, ein Naturfotograf könnte Stunden hier verbringen, um Blüten, Schmetterlinge u.a. Insekten zu fotografieren. Ein Teil des Geländes greift die zukünftige Nutzung der Deponie voraus, schon jetzt ist hier ein Begegnungsstätte für Schulklassen entstanden, Tischen und Grillgeräte stehen umher. Ein Teich lädt fast zum Baden ein, aber noch dient er nur dem Sammeln der Oberflächenwässer und dem Wässern der Flächen. Ein Hühnerhof existiert und wenige Meter bergan treffen wir auf die besonderen Bewohner der Deponie, die Pinzgauer Ziegen. Drei Exemplare, ein Bock und zwei Zicken, dösen in einem Gehege, die andere 20köpfige Herde ist gerade im Deponiegelände unterwegs, sie können frei umherlaufen. Als Feinschmecker, wie uns unser Führer versichert, fressen sie nur ausgewählte Pflanzen.

Oben angelangt tragen wir uns ins Gipfelbuch ein und genießen die Aussicht. Weit trägt der Blick über das Marchfeld fast bis zur Slowakei hinüber. Auf den andere Seite fangen der Nußberg und seine Nachbarn die letzten Wolkenreste ein. Ich stehen auf mehreren Jahrzehnten Geschichte Wiens. Aller Kehricht der letzten Jahre in der Stadt ist unter mir, alles Geschirr, was in einem Ehestreit in dieser Stadt zerbrochen wurde, alle weggeworfenen und verlorenen und bitter beweinten Spielsachen, alles flüchtig auf die Straße Geworfenes und Verlorenes, aber auch wie viele Kaugummis, abgeschnittene Haare und unbrauchbar gewordene Töpfe. Alles zusammengeschmolzen, eingebrannt und im Beton untergemischt, nun endgelagert auf immer und nie mehr entschlüsselbar, diese Geschichte der Stadt. Keiner kann mehr erzählen, alle Geheimnisse, Erinnerungen und vergessenen Begebenheiten ruhen verschlossen an dieser Stelle. Vielleicht wird man später einmal ein leichtes Summen in der Luft verspüren, ohne es verorten zu können…

Servicelink:

www.wien.gv.at/umwelt/ma48/entsorgung/abfallbehandlungsanlagen/deponie.html

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