Auf dem ersten Blick würde jeder geneigt sein, der beide Kirche betrachtet, das Fragezeichen wegzulassen. Einerseits eine Ikone des Wiener Jugenstils, weithin sichtbar mit ihrer goldenen Kuppel, andererseits ein Kirchenbau, der an den Stil des 60er- und 70er-Brutalismus erinnernd im Vorort Mauer steht. Helles Weiß gegen graue Blöcke, leichte Erhabenheit gegen schweres Verbauen.
Auf der anderen Seite gibt es eine Reihe von Gemeinsamkeiten. Beide Kirche sind aus Beton erbaut, nur ist dieser bei der Wagnerkirche gut verborgen. Beide Kirchen wurden von in Wien bekannten Künstlern entworfen – Otto Wagner, der Wiener Stararchitekt um 1900, Fritz Wotruba, einen der wichtigsten Bildhauer Österreichs des 20. Jahrhunderts, der Anfangs noch von Klimt, Schiele und Kokoschka beeinflusst war, dann seinen Weg über den Expressionismus bis zum Abstrakten nahm. So sind auch beides Mal die Kirchen unter den Namen ihres Planers bekannt und nicht unter ihrem eigentlichen Namen, St. Leopold am Steinhof bzw. Kirche zur Heiligsten Dreifaltigkeit. Beide Kirchen sind Ausdruck des zu ihrer Zeit modernen Bauens, beide trafen deshalb auf Ablehnung des konservativen Publikums. So war auch beides Mal nur eine Errichtung an abgelegenen Orten möglich – die eine als Teil einer psychiatrischen Anstalt, die andere an der Peripherie der Stadt. Beide Kirchen sind die Reinform ihrer Epoche und aus einem Stück, d.h. äußere und innere Gestaltung sind aufeinander bezogen, entsprechen einer Stilrichtung und sind in ihrer Erstgestaltung (fast) unverändert erhalten. Wie ergeht es mir, wenn ich ihre Räume betrete?
Die Kirche im Steinfeld erreiche ich nach längerer Busfahrt. Ich laufe durch die großflächige Klinikanlage des Steinfeldes, als dessen Teil die Kirche entstand. Große, villenartige Gebäude stehen weit auseinander in einem weitläufigen Park, es ist Sonntag, eine warme Sonne verstärkt die Ruhe über dem Gelände, das wie verlassen wirkt. Einige Gebäude haben vernagelte Fenster, wenn nicht Wegweiser auf bestehende Stationen deuten würden, würde ich mich wohl eher an einem lost place versetzt fühlen. Steinhof war Anfang des 20.Jahrhunderts die größte und modernste Anstalt für Geisteskranke (wie es damals hieß) in Europa, 2200 Patienten lebten hier, dazu 2800 Angestellte. Es war eine Stadt in der Stadt, mit eigener Infrastruktur, autonom. Fortschritt war, dass man psychische Leiden nunmehr als Krankheit akzeptierte, Behandlung statt Wegsperren möglich wurde. Deswegen die großzügige Anlage (übrigens auch von Otto Wagner geplant), der Kontakt zur Natur, die vielen verschiedenen Lebensphasen, die in die Klinik aufgenommen wurden.
Was allerdings im Umkehrschluss nicht verhinderte, dass nach 1938 auch hier die Euthanasie wütete. Insbesondere Kinder und Jugendliche waren betroffen, „Am Spiegelgrund“ hieß die eigens für sie auf dem Gelände eingerichtete Anstalt, u.a. mit Elektroschocks, Injektionen, „Wickelkuren“ wurde dort ihnen ihr Wille gebrochen, mindestens 800 Kinder und Jugendliche wurden umgebracht. Keiner der Pflegerinnen und Ärzte wurde je dafür zu Rechenschaft gezogen, die aufbewahrten Gehirne der Kinder wurden noch bis in die 70er Jahre für Forschungsarbeiten benutzt und erst 2002 beigesetzt. Heute erinnert eine kleine Ausstellung und ein Mahnmal an ihre Geschichte.
Diese Erzählung muss man mitdenken, wenn man die Kirche mit ihrer Erhabenheit besichtigt. Der Weg dahin verleiht bei Sonne im Gegensatz dazu nämlich Leichtigkeit, die Wärme und der lockere Kiefernbestand schaffen fast eine mediterrane Stimmung, in die sich die Kirche einfügt. Sie ist erst kurz davor in ihrer Gänze zu sehen und nicht einmal mit Weitwinkel fotografisch zu bannen. Den Eingang bewachen vier ernste, geflügelte Engel, über denen zwei Heilige und die große Goldkuppel trohnen.
Die Raumwirkung beim Betreten ist überwältigend, mir verschlägt es den Atem. Eine helle Lichte und Weite umgeben mich, alles erscheint aus einem Guss, der Altar mit seinem Hintergrundbild, die Glasfenster von Koloman Moser, die jeweils die sieben geistigen und leiblichen Werke der Barmherzigkeit zeigen, die Kanzel, das große Gewölbe mit seinen feinen Goldstrukturen und den großen Lüstern. Diese Wirkung schien nicht alle zu beeindrucken, Kaiser Franz Josef kritisierte bei seiner Eröffnungsrede Otto Wagner öffentlich damit, dass ihm die Barockbauten von Maria Theresia besser gefallen, was Wagner in einer nur für die damalige Zeit zu verstehenden Replik zurückwies – auch die Kanonen wären zu Theresias Zeiten verziert gewesen, die glatten Kanonen der Neuzeit würden aber die Funktion des Schießens besser erfüllen und diese Kirche eben die Funktion, zu beten. Wagner bekam nie mehr einen Auftrag vom Kaiser. Allerdings ist die Funktion zu spüren – angefangen von Kleinigkeiten, z.B. dass das Weihwasser über einen Hahn kam und nicht aus einem Becken genommen wurde, um die Hygiene für die Kranken zu gewährleisten oder die Kirche leicht abschüssig ist, damit die später gekommenen auch den Altar sehen können. Insgesamt durch die Atmosphäre, die im Gegensatz zu den vielen Details einer Barockkirche sich auf das Wesentliche konzentriert – ein Hauptaltar und zwei Seitenaltäre, die Kanzel, die Geschlossenheit des Raumes bei aller Weite. Ich bleibe lange an diesem Ort, mit vielen Emotionen und Gedanken.
Ganz anders näher man sich der Wotrubakirche, auch wenn die Fahrt dorthin wieder länger dauert. Die Kirche liegt oberhalb des ehemaligen Dorfes Mauer, man geht lange eine Straße zu ihr empor, recht und links Buschenschenken, später Villen. Auf einem Hügel ist dann die Kirche zu sehen. Aus der Ferne wirkt sie wie eine Festung, auch Assoziationen an Stonhege, alte Mayatempel, gar dicke Scheiterhaufen kommen hoch. Wie soll soviel Schwere die Dreifaltigkeit symbolisieren, für die ihr Name steht? Beim Nähertreten lockert sich der Haufen an Blöcken leicht auf. Da in der Kirche eine Taufe ist, gehe ich erst einmal um das Gebäude herum. Die scheinbar wahllose Anordnung der Blöcke schafft immer neue Perspektiven. Winkel werden entdeckt, die Sonne schafft ein Schattenspiel mit scharfen Kontrasten und Kanten. Am Ende kann man die Fassade z.T. erklettern, auf ihr sitzen, erkunden. Eine spielerischer Umgang tritt ein, und dies bei dem rohen, unverkleideten Beton.
Die Kirche wurde 1974-76 errichtet nach einer Idee von Franz Wotruba und Plänen des Architekten Fritz Gerhard Mayr. Wotrubas Anliegen war es, „etwas gestalten, das zeigt, dass Armut nicht hässlich sein muss, dass Entsagen in einer Umgebung sein kann, die trotz größter Einfachheit schön ist und auch glücklich macht.“ (Quelle)
Die fröhliche Taufgemeinschaft verlässt die Kirche, also den Zweck eines guten liturgischen Zusammenseins lässt die Form wohl zu. Ich betrete das Innere und bin überrascht von der Helligkeit, die die großen Glasfenster zulassen. Es ist ein eigenartiger Kontrast zwischen den Kubaturen der auch hier blockartigen Wände und Decke zur einer Leichtigkeit, die das einströmende Licht vermittelt. Hier gibt es keinen einheitlichen Raum, jeder Standort verschiebt Perspektiven, Kanten überlagern sich und geben sich wieder frei, harter Schatten und klare Formen beherrschen das Bild. Es gibt keine Kunstwerke in dem Raum, die von der Architektur ablenken, bis auf ein Kreuz von Wotruba selbst. D.h. nicht ganz, quer durch das Schiff zieht sich eine von der Gemeinde gestaltete Installation, hunderte aus Papier gefaltete Friedenskraniche hängen an einem Netz. Für mich passt dies überhaupt nicht hierher und zerstört die Gestaltung und Absicht der Kirche – aber vielleicht hat die Gemeinde die Wirkung des Baus nicht ausgehalten?
Servicelinks:
Zur Geschichte des Spiegelgrundes: gedenkstaettesteinhof.at/de/ausstellung/wien-steinhof
Otto-Wagner-Kirche: www.wienmuseum.at/de/standorte/otto-wagner-kirche-am-steinhof
Wotrubakirche: www.georgenberg.at/