Wien ist bekannt für gute und zahlreiche Märkte, das städtische Marktamt zählt 22 an der Zahl allein im seinen Bereich auf. Am bekanntesten, und auch von vielen Touristen besucht, ist wohl der Naschmarkt, was sich dort auch in Struktur und Preisniveau abbildet. Als Geheimtipp wird der Karmelitermarkt gehandelt, im 2. Bezirk gelegen und einer der ältesten in Wien. Auch der Rochusmarkt im 3. und der Meidlinger Markt im 12. sind noch in dem einen oder anderen Führer verzeichnet.
Seltsamerweise liegt der größte und bunteste (und preiswerteste) aller Wiener Märkte außerhalb der Wahrnehmung von Wiener Gästen – der Brunnenmarkt in Ottakring, dem 16. Wiener Bezirk. Ca. 124 Marktstände, so die Zahl des Marktamtes, ziehen sich auf einen halben Kilometer entlang der Brunnenstraße, der längste Straßenmarkt Europas nach Wiener Sichtweise. Insbesondere zum Wochenende hin wird auch der Yppenplatz, in den die Brunnenstraße mündet, von fliegenden Händlern und festen Verkaufs- und Imbissständen in Beschlag genommen.
Veganer müssen auf diesem Markt stark sein, auch wenn bei den vielen Gemüsestände die Früchte und Kräuter leuchten, Käse in allen Variationen und Gewürze aus allen Ländern der Welt verkauft werden – Fleisch ist eines seiner Hauptprodukte. In den Fleischständen stapeln sich Lammkeulen, Hühnerflügel, Rinderhaxen, Putenhälse, Ziegenfleisch teilweise bis zu einem Meter hoch in den Auslagen. Ab Mengen von drei und zehn Kilo wird es noch preiswerter angeboten – und wandert in diesen Mengen auch über die Theke. Muss ich in Jena Rinderherzen und Flecken mühsam beim Fleischer bestellen, wenn ich damit Freunde bekochen will, so gibt es sie hier einfach schockweise, auch geruchstechnisch. Der serbisch-ungarische Stand hat sich dagegen auf Schweinefleisch und -innereien aller Art spezialisiert. Und auch zunächst Absonderliches wird angeboten – Rinderfüße, Lammdärme, Rinderhaut und abgeschlagene und abgehäutete Hammelköpfe. Ganz neue Reize und kulinarische Herausforderungen tun sich da für mich küchentechnisch auf, schade dass solche Zutaten eine Zugfahrt nach Thüringen nicht überleben würden.
Also schlemme mich erst einmal quer durch, von Pferdeleberkäse über Fatteh (einem syrischen Nationalgericht, dies ist sogar vegetarisch) bis hin zu Joghurt-Feige-Eis, begleitet von arabischen Tee und bosnischen Mokka. Um mich herum ein Sprachgewirr. Türkisch, ungarisch, arabisch, italienisch (oder rumänisch?) und dazu alle möglichen slawischen Sprachen, die ich ich nicht auseinanderhalten kann. Auch vietnamesisch, chinesisch und diverse afrikanische Dialekte sind vernehmbar und bleiben mir unverständlich. Kommunikation ist trotzdem möglich, ein Lächeln, ein paar Finger und Kopfnicken reichen aus. An den Käseständen entdecke ich Sorten, deren Namen ich noch nie gehört habe (und geschmackliche Offenbarungen sind), ein Stand bietet Fisch aus dem Schwarzen Meer, ein anderer lebende Karpfen. Noch warmes Fladenbrot duftet, Süßigkeiten jeder Herkunft lassen Kinderaugen strahlen, schwere Parfümwolken ziehen von den entsprechenden Ständen herüber.
Am Ende biege ich in den Yppenplatz ab. Da es Mittwoch ist, ist er leer. Passanten dösen auf Parkbänken. An seiner Nordseite sitzen Leute in den alternativen Cafès. Eine Gruppe Jungs spricht mich an, ob ich sie fotografieren könne. Nachdem sie posiert haben und das Ergebnis bestaunen, frage ich nach einer Mailadresse, wohin ich es denn nun schicken solle. Die Jungs fangen an rumzudrucksen, einer knetet eine Rolle Geldscheine in seiner Hand. Über den Platz zieht eine schwere Brise Marihuana… Somit bleibt das Foto auch hier unveröffentlicht.
Der Fahrradmonteur der kleinen Werkstatt speicht unbeeindruckt davon ein Rad neu ein. Straßenkehrer laufen in in aller lässiger Gemütlichkeit ihren Besen hinterher, aus einem Wohnungfenster kommt Rap, aus einen anderen tönen Gypsyrhythmen. Wenn jetzt jemand sagt, das würde ihm zu klischeeartig nach Balkan klingen, muss ich ihn widersprechen. Wien ist Balkan.
Servicelinks:
Das Wiener Marktamt – www.wien.gv.at/kontakte/ma59/
Die Wiener Markt-App – für Android